E. Tremp u.a.: Im Anfang war das Wort

Cover
Titel
Im Anfang war das Wort. Die Bibel im Kloster St. Gallen. Katalog zur Jahresausstellung in der Stiftsbibliothek St. Gallen Gallen (2. 12. 2012 bis 10. 11. 2013)


Herausgeber
Trenp, Ernst; Karl, Schmuki; Franziska, Schnoor
Erschienen
St. Gallen 2012: Verlag am Klosterhof
Anzahl Seiten
120 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Iso Baumer

Es ist immer wieder lehrreich, weltgeschichtlich bedeutsame Ereignisse in ihrem Widerhall an einem ganz kleinen Ort konkret zu verfolgen. Die Geschichte der Bibel durch alle Jahrhunderte findet sich wie in einer Nussschale im Kloster St. Gallen. Ihr ist eine Ausstellung in der Stiftsbibliothek gewidmet, von einem Rahmenprogramm begleitet mit Vorträgen, Führungen, Theater, Bibelgarten, Veloweg. Dank einem Katalog bleibt sie zeitübergreifend präsent.

Wenn auch nicht in Leinen, aber doch in feste Klappbroschur gebunden und fadengeheftet, auf solidem Papier gedruckt und prächtig farbig illustriert, erweist sich der Katalog als würdiger Vertreter einer Jahrhunderte alten Kultur, die im Stiftsbezirk St. Gallen seit dem 7. Jahrhundert fortlebt und in Stadt, Kanton, Diözese und die ganze Bevölkerung ausstrahlt.

In dieser Ausstellung ist die einheimische Kulturtradition thematisch mit einer viel weiter ausgreifenden kombiniert: mit der Bibel, wie sie in all diesen Jahrhunderten im Kloster gesammelt, abgeschrieben, gelesen, studiert, gebetet und weiter verbreitet wurde. Eine ganze Kulturgeschichte ist ablesbar an wenigen Objekten in der Ausstellung und ihrer genauen, wissenschaftlich unterlegten und flüssig lesbaren Beschreibung im Katalog mit gegenüberliegendem Bild, sodass man auch nach dem Besuch der Ausstellung oder sogar bei Verzicht darauf ausreichend mit wertvollen Erkenntnissen ausgestattet bleibt. Zwar gilt durchaus, was ein museal bewanderter Historiker, der früh verstorbene François de Capitani, von den Ausstellungsobjekten gesagt hat: «Sie waren dabei » – sie sind also richtige Dokumente, Zeitzeugen, und ein Katalog kann sie nicht ersetzen, aber in den Abbildungen fortsetzen.

Gleich auf der Rückseite des Titelblatts sind die vier Autoren und Autorinnen genannt, die im Inhaltsverzeichnis und im Text nur mit ihren Initialen aufscheinen: nebst dem Stiftsbibliothekar Ernst Tremp sind dies Karl Schmuki, Franziska Schnoor und Maximiliane Berger. Worauf sie sich in ihren eingängigen Darstellungen abstützen, wird im Anhang verdeutlicht: Die Literaturhinweise, zuerst das Kloster und das Thema (die Bibel) ganz allgemein betreffend, sodann einzeln zu den acht Vitrinen im schönen Barocksaal und den weiteren vier Vitrinen im Lapidarium (im Untergeschoss); und genau sind die ausgestellten Handschriften, Holztafeldruck, Inkunabeln und Drucke katalogisiert.

Die Ausstellungen in der Stiftsbibliothek haben den Vorteil, dass sie sich auf wenig Raum beschränken und darum auf ganz Wesentliches konzentrieren müssen. Einigermassen chronologisch wird man über die wichtigsten Etappen dieser Geschichte geleitet. Einleitend wird erzählt, wie das Wort nach St. Gallen kommt, St. Gallen als wichtiger Hort der Bibelüberlieferung wird so deutlich. Die Bibel wird aber nicht nur gehütet, man setzt sich schon im Frühmittelalter mit dem Bibeltext auseinander. Aus praktischen Gründen gab es eine Auswahl der meistgelesenen Bibeltexte: im Stundengebet und anderen Gottesdiensten standen die Psalmen, die Evangelien und die Paulusbriefe im Vordergrund. Dem vollständigen Bibeltext verhielt sich die Kirche lange skeptisch bis ablehnend gegenüber, erst die Reformation hat hier Abhilfe geschaffen. Und mit der Renaissance kamen auch die andern alten Sprachen ausser dem Latein zu Ehren,

Griechisch, Hebräisch wurden studiert, nach dem besten Text gesucht, das Wort verinnerlicht. Dazu dienten auch die Übersetzungen in die Volkssprache. Der «Althochdeutsche Tatian» (Bibelharmonie) aus dem zweiten Viertel des 9. Jahrhunderts, abgefasst in einem altostfränkischen Schreibdialekt, wurde im 19. Jahrhundert zur Grundlage der althochdeutschen Grammatik. Notker der Deutsche hat den Psalter ins Althochdeutsche übersetzt – es ist der umfangreichste althochdeutsche Text, der erhalten geblieben ist. Aber es hat sich auch ein Evangelienbuch für arabische Christen mit 41 schönen Miniaturen aus dem 18. Jahrhundert nach St. Gallen verirrt.

Die Bibel wurde nicht nur abgeschrieben, übersetzt und gelesen, sondern auch bearbeitet; so entstanden Kommentare, Auslegungen, Perikopenbücher, Armenbibeln mit dem Akzent auf dem Bild. Die Erzählungen hatten ganz bewusst die Absicht, den Leser zur Nachfolge Christi einzuladen. Schliesslich wurde sogar das «St. Galler Spiel von der Kindheit Jesu» vielleicht von einem gebildeten Mönch komponiert, ein höfisch-ritterliches Theaterstück aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Von seinem Verfasser heisst es im Katalog: «Psychologisch geschickt, souverän und mit grosser Sprachkraft ging er mit seinem Stoff um und schuf so ein unschätzbares Werk» (72).

Mit der Erfindung des Buchdrucks kam die Bibel auch unters Volk; schon vor Luther gab es 18 deutsche Bibeldrucke und mehrere nach den gottesdienstlichen Vorgaben gestaltete Bibelauswahlen. Die sprachschöpferische und auf den Urtext zurückgehende Übersetzung Luthers, aber auch die Zwinglis, werden mit Recht hervorgehoben. Ein kleinformatiges Zürcher Neues Testament befand sich im Besitz des St. Galler Klosterbruders Petrus Egger (1760–1835).

Auch der berühmte St. Galler Klosterplan, der ein Ideal und nicht eine Realität abbildet, wird in die Ausstellung einbezogen; es werden darauf die «Orte der Bibel » eruiert: Bibliothek, Schreibstube, die Stiftskirche selbst, wo die Bibel im Gottesdienst «gefeiert» wurde, der Psallierchor, wohl auch im Schlafsaal und im Speisesaal und selbstverständlich in der Schule.

Aufschlussreich sind auch die illustrierten Bibeldrucke bis zu jenen Ausgaben, die weniger theologisch als kulturgeschichtlich aufschlussreich sind, und nicht zu vergessen die Polyglotten, wo bei dem hier vorliegenden Exemplar auf zwei gegenüberliegenden Seiten der ganze Bibeltext in 12 Sprachen verzeichnet ist, buchstabengenau und ästhetisch beeindruckend. Ein Drucker in Nürnberg verschuldete sich dabei, sodass er die Stadt 1604 verlassen musste; sein Plan, die Bibel in 12 weiteren Sprachen zu drucken, blieb so auf der Strecke.

Ganz ausgefallen ist ein Neues Testament in syrischer Sprache, der Erstdruck in syrischer Sprache überhaupt, 1555 in Wien entstanden. Ein St. Galler Mönch hat es genau studiert und mit Randbemerkungen in schwarzer, roter und grüner Tinte versehen. Mehr zufällig und nicht aus Studiengründen kam ein Neues Testament in malaiischer Sprache aus dem 17. Jahrhundert hierher, sowie eine Bibel in der Sprache der Cree-Indianer in Kanada. Am Ende des 19. Jahrhunderts konnten die meisten Indianer dieses Stammes diese von einem methodistischen Missionar entwickelte Schrift lesen, sodass sie zu den Völkern mit einer der höchsten Alphabetisierungsrate der Welt wurden: «die Rate lag auf jeden Fall höher als bei den europäischstämmigen Kanadiern» (108).

So ganz beiläufig erfährt man Dinge, die der Kenner vielleicht schon lange weiss: Die grosse Hartmut-Bibel aus dem 9. Jahrhundert mit 2‘600 Seiten in 6 Bänden verbrauchte das Fell von 650 Schafen; die etwas ältere Alkuin-Bibel, mit 19,5 kg Gewicht, enthielt die ganze Bibel in einem Band. Diese wurde dann mehrfach abgeschrieben, v.a. im Kloster St. Martin in Tours, dem Alkuin als Abt vorstand. Pro Band mit rund 840 Seiten kamen etwa 210 Schafe – ganze Schafherden fielen also der Bibelabschrift zum Opfer. Man versteht nun auch, warum Pergament so kostbar war und oft zweimal benutzt wurde, indem man die erste Handschrift auskratzte und neu darüber schrieb. Und darum ging man auch ganz sorgsam um mit den Handschriften und später dann mit den gedruckten Büchern, die ja auch auf umständliche Weise zustande kamen: Mit Handsatz aus den beweglichen Lettern, mit eingefügten Holzschnitten und später Kupferstichen, vom Lieferanten oder häufig erst vom Käufer koloriert.

Eine solche Bibelausstellung mit dem darauf beruhenden Katalog lehrt nicht nur viel über die Bibel, sondern auch über das Wissen, seine Weitergabe und Verbreitung. Dass mehr und mehr Handschriften, auch aus der Stiftsbibliothek, nun auch per Mausklick zugänglich werden, ist ein Gewinn für die Wissenschaft – doch das ersetzt den ehrfurchtsvollen Umgang mit den Originalen und die Erinnerung an ihre Schöpfer nicht. Der Katalog setzt die bewährte Tradition von wissenschaftlicher Sorgfalt und ästhetischem Geschmack fort, die der Stiftsbibliothek eigen ist.

Zitierweise:
Iso Baumer: Rezension zu: Im Anfang war das Wort. Die Bibel im Kloster St. Gallen. Katalog zur Jahresausstellung in der Stiftsbibliothek St. Gallen (2. 12. 2012 bis 10. 11. 2013), St. Gallen, Verlag am Klosterhof, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 107, 2013, S. 462-464.

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